Fachverfahren
Standardverfahren und Fachverfahren
Ein Verfahren ist im Verwaltungsdeutsch ein Computerprogramm. Programme sind Listen von Anweisungen an Computer, durch die bestimmte Eingaben zu bestimmten Ausgaben führen (auch "Applikation" oder kürzer "App"). Ein Standardverfahren ermöglicht dabei viele verschiedene Anwendungen. Eine Textverarbeitung, eine Tabellenkalkulation oder eine Datenbankanwendung können beispielsweise für viele unterschiedliche Ergebnisse eingesetzt werden.
Fachverfahren dagegen sind Programme, die auf ein Fachgebiet zugeschnitten sind. Verfahren zur Buchhaltung oder zum Auslesen der Betriebswerte eines Autos in einer Werkstatt sind Fachverfahren. Fachverfahren ermöglichen die zielgerichtete Anwendung. Man kann in einer Textverarbeitung oder Tabellenkalkulation z. B. Rechnungen schreiben. Mit einem Buchführungsprogramm wird die Rechnung allerdings automatisch nach einer Buchung ausgedruckt.
Kommunalverwaltungen haben sehr, sehr viele Fachverfahren. Ich meine mal eine Anzahl von einem Verfahren pro 1.000 Einwohner festgestellt zu haben. Das liegt an ihrem sehr breiten Zuständigkeitsbereich. Fachverfahren in Kommunalverwaltungen reichen von der Friedhofsverwaltung über Ausleseprogramme für Parkuhren und Geschwindigkeitsmesser bis hin zum Kassenprogramm für Schwimmbäder. Die EDV des Rathauses besteht also aus sehr vielen fachspezifischen Anwendungen.
Es gibt oder gab mal einen Trend zu "Verbundverfahren". Damit sind integrierte Programmsysteme gemeint, die aus mehreren Modulen bestehen, die separat erworben werden können. Diese eigentlich gute Idee enthält aber den Nachteil, dass man sich doch sehr stark an einen Herstelle bindet. Die Bemühungen der (kommunalen) Softwarebranche, offene Schnittstellen einzubauen, wirkt dem auch entgegen. Im Zweifel sollte man sich die Flexibilität bewahren und eher viele einzelne Programme mit offenen Schnittstellen beschaffen.
Auswahl und Beschaffung
Auswahl und Beschaffung von Fachverfahren sind i. d. R. viel teurer als der Betrieb von Standardverfahren. Das hat Gründe:
- Fachverfahren bedienen einen kleinen Markt
- Firmen, die Fachverfahren herstellen, sind oft sehr spezialisiert
- Fachverfahren haben eine kleine Benutzergruppe
- Neue Konzepte für Bedienung und Aktualisierung kommen in Fachverfahren gar nicht oder sehr spät zum Einsatz.
Die Auswahl des richtigen Fachverfahrens ist daher eine langwierige und teure Angelegenheit. Hat man überhaupt mehrere Verfahren im Fachgebiet zur Auswahl (selten genug), dann sollte unbedingt die Fachabteilung federführend sein. Eine Beschaffung eines Standesamtsverfahrens ohne Standesamt wird sicher wenig Akzeptanz finden. Raffinierterweise sind die Anbieter vor Jahren dazu übergegangen, die Fachabteilungen selbst anzusprechen. Bei der EDV stößt man nämlich meist - mangels Geld und/oder Zeit - auf Ablehnung.
Die eigentliche Beschaffung ist dann oft ohne Ausschreibung möglich. Die meisten Fachverfahren haben genau einen Hersteller und der übernimmt, um Vertriebskosten zu sparen, oft auch selbst Verkauf und Installation. Die EDV wird dabei natürlich aus technischer Sicht auf bestimmte Eigenschaften achten:
- Das Fachverfahren muss natürlich technisch in die Umgebung passen (kein eigenes Datenbanksystem).
- Das Fachverfahren sollte vom Hersteller installiert werden (um spätere Missverständnisse zu vermeiden).
- Das Fachverfahren sollte eine Schulung ermöglichen (beim Hersteller).
- Das Fachverfahren sollte eine Schnittstelle bereitstellen (für die Verbindung zu anderen Programmen).
- Der Hersteller sollte eine telefonische Hotline anbieten (die die EDV nicht für alle Fachverfahren bieten kann).
Hier geht es um Verantwortlichkeiten. Support ist sehr teuer für Softwarefirmen und sehr unproduktiv. Daher wird jeder Hersteller versuchen, diese Last möglichst beim Kunden abzuwerfen (der Vertrag ist dann ja bereits unterschrieben). Nur wenn der Hersteller selbst alle grundlegenden Schritte selbst erledigt (und ein Übergabeprotokoll unterschreibt!), kann die Kommune vor ungerechtfertigten Ansprüchen geschützt werden.
Nebenbei zeigt dies auch die Anforderung an die technische Umgebung einer Verwaltung. Man sollte sich an weit verbreitete Standards halten, um möglichst vielen Standard- und Fachverfahren den Betrieb zu ermöglichen. Das ist einer der Gründe, warum so viele Verwaltungen Produkte eines großen amerikanischen Herstellers verwenden, auch wenn es anders sein sollte.
Finanzierung und Betrieb
Die Fachabteilungen sind natürlich froh darüber, dass sie von den Herstellern angeschrieben werden, um ein neues Fachverfahren zu nutzen. Nichts motiviert Arbeitnehmer/-innen mehr als das eigene Werkzeug nutzen zu können. Dieser Faktor sollte von der EDV nicht unterschätzt werden. Der Satz "ich habe es ja gesagt" bei Fehlern oder Systemproblemen hat schon viel Produktivität zerstört.
Konsequenterweise sollte man dann auch darüber nachdenken, den Fachabteilungen einen eigenen Etat für Software zur Verfügung zu stellen. Da ich lieber das Geld anderer Leute ausgebe anstatt mein eigenes, was menschlich ist, suche ich natürlich das beste und teuerste Verfahren aus. Muss ich das Geld vom eigenen Budget abzweigen, bin ich dagegen vorsichtiger. Der Etat im Fachamt muss natürlich die gesamten Kosten umfassen. Auch Kosten für Updates und Support sollten vom Amt selbst getragen werden. Sie gehören nicht nur zu den gesamten Verfahrenskosten sondern auch zu den gesamten Kosten eines Amtes. Fachverfahren werden i. d. R. auf zehn Jahre abgeschrieben (siehe auch Finanzen).
Leider ist diese Idee noch nicht sehr populär. Man möchte die EDV-Kosten zentral halten, um den Überblick zu behalten. Das impliziert allerdings, dass man die EDV immer noch als Fremdkörper in der Verwaltung sieht. Das ist sicher schon lange nicht mehr der Fall. EDV-Kosten gehören dezentral in die Ämter, da sie Teil der Kosten der Ämter sind. Eine Auswahl, eine Aufgabe mit oder ohne EDV zu erfüllen, besteht faktisch schon sehr lange nicht mehr. Der PC und das mobile Gerät sind schon lange Teil des kommunalen Arbeitsplatzes.
Auch der Betrieb sollte dem Amt überlassen werden. Ein Verantwortlicher für das Verfahren ist sicher schnell gefunden, wenn diese Aufgabe auch Teil der Stellenbeschreibung wird. Und es gibt keine lästige gegenseitige Zuweisung von Zuständigkeiten. Technische Probleme löst die EDV mit dem Hersteller, fachliche Probleme löst die Fachabteilung mit dem Hersteller. Ich kenne Fälle, in denen die Verantwortung für ein Fachverfahren zu neuen Spezialisten/-innen geführt hat, die dann eine seltene Qualifikation besitzen.